Besuch aus China: Ginkgo-Fellows besuchen Deutschland

Durch unser Vorstandsmitglied Feng Gang sind wir im Juni 2019 in Kontakt mit der Ginkgo Foundation aus Beijing gekommen. Die Stiftung besteht seit 2015 und versammelt unter ihrem Dach die „Ginkgo Fellows“, Personen, die daran glauben, dass jede Tat eines einzelnen Menschen sehr viel dazu beitragen kann, die Welt zum Positiven zu verändern. So haben sie sich Schlagworte wie „social entrepreneurship“, soziales Unternehmertum auf die Fahnen geschrieben und arbeiten sämtlich in „non profit organisations“, also in nicht gewinnorientierten Organisationen. Die Ginkgo Foundation bietet diesen Fellows die Möglichkeit, durch Auslandsaufenthalte neue Erfahrungen zu sammeln. 16 Ginkgo Fellows traten daher eine Reise nach Deutschland an, und Shan.Shui wurde angefragt, bei der Organisation vor Ort zu helfen.

Die Ginkgo Fellows in Deutschland
Foto: Song Hui

Am 24. August 2019 gings los, auf dem Programm standen Berlin, Weimar und München. Die Gruppe kam aus verschiedenen Städten und Provinzen in China: aus Kunming in Yunnan und Hefei in Anhui, aus Hohhot in der Inneren Mongolei und aus Foshan in Guangdong, aus Chengdu in Szechuan und aus Changsha in Hunan, nicht zuletzt aus Beijing und Shanghai. So unterschiedlich die Herkunft, so verschieden die Interessensgebiete: Recycling, Rechtswesen, Sozialarbeit, alternative Erziehungsmethoden, Altenpflege, Ökologie und Kinderhospize.

Es standen Besuche und Informationsaustausch bei einigen Stiftungen, die teils auch in China aktiv sind, im Mittelpunkt, etwa der Besuch bei der Mercatorstiftung oder bei der BMW-Stiftung.

Informationsaustausch bei der Mercator Stiftung in Berlin
Foto: A.Worst
Besuch bei der BMW Stiftung in Berlin
Foto: A.Worst

Der erste Tag war jedoch einem historischen Exkurs gewidmet. Die Gruppe wollte sich über deutsche Geschichte informieren, speziell über die Nazizeit und den 2. Weltkrieg, über die Geschichte der deutschen Teilung und Wiedervereinigung. Dankenswerter Weise stand Marcus Dohnicht von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften an diesem Tag zur Verfügung, um die teils sehr in die Tiefe gehenden Fragen zu beantworten. Es stellte sich im Laufe der Reise heraus, dass das Interesse an deutscher Geschichte deutlich weiter ging als nur „an der Oberfläche kratzen“.

An der Gedenkstätte Berliner Mauer
Foto: A.Worst
Im Kastanienwäldchen an der Neuen Wache
Foto: A.Worst

Natürlich fanden soziale und alternative Projekte besonderen Anklang. Dabei ging es um Erfahrungsaustausch ebenso wie darum, verschiedene Vorgehensweisen und Organisationsformen kennenzulernen. So hatte die Gruppe zum Beispiel eine Verabredung mit Matthias Scheffelmeier, einem Mitglied von „Ashoka – Heimat der Changemaker“. Deren Definition und Organisation hat viel mit dem Selbstverständnis der Ginkgo Foundation gemeinsam. Denn Ashoka versteht sich als weltweites Netzwerk von „Changemakern“, die „mit unternehmerischer Haltung und innovativen Ansätzen antreten, soziale Probleme zu lösen“. Das Treffen fand im Berliner Prinzessinnengarten statt.

Treffen mit Ashoka Mitglied Matthias Scheffelmeier
Foto: A.Worst
Detail Prinzessinnengarten in Berlin Kreuzberg
Foto: Wang Yu

Alternative Projekte, wie der Prinzessinnengarten, der mit Anwohnern und Interessierten gemeinsam betrieben wird, oder eine Initiative, wie das mehrfach ausgezeichnete Projekt „Über den Tellerrand“ zur Integration von Flüchtlingen stießen auf besonderes Interesse der Teilnehmer*innen. Denn bei solchen Projekten erschließt sich der Gedanke, dass aus einer Idee von Einzelnen oder einer kleinen Gruppe eine Unternehmung hervorgehen kann, die vom sozialen und humanitären Gedanken getragen Vieles zum Guten verändert.

Die Ginkgo Fellows im Prinzessinnengarten
Foto: Ginkgo Fellows
Noor Edres stellte das Projekt „Über den Tellerrand“ vor
Foto: A.Worst

Zwischendurch blieb Zeit für einen Besuch im Kreuzberger „Original Unverpackt-Laden“. Das Prinzip, Plastik- und Papiertüten zu sparen und lose Waren in Mehrfachbehältern mit nach Hause zu nehmen, sprach nicht nur die Spezialisten für Umwelt, Müllvermeidung und Recycling unter den Ginkgo Fellows an. Ein kurzer Abstecher zu einem benachbarten Laden mit nachhaltigem Spielzeug, vor allem aus Holz, war zeitlich auch noch drin.

Lose Spaghetti
Foto: Wang Yu
Im Kreuzberger Original Unverpackt Laden
Foto: Wang Yu

Besonders spannend war für die Ginkgo Fellows auch der Besuch der Annie Heuser Waldorfschule in Berlin. Durch den Vortrag zweier Schülerinnen lernten sie etwas über die verschiedenen Schulformen in Deutschland, vor allem auch über alternative Erziehungssysteme, die allen Ginkgo Fellows sehr am Herzen liegen. Bei einer Diskussion mit Zehntklässler*innen gab es dann sehr schnell nur noch ein einziges Thema: Die Bewegung „Fridays for Future“, in der die 15- bis 16-Jährigen der Annie Heuser Schule sehr aktiv sind. Die Fragen gingen von ganz praktischen Dingen, etwa: „Wie wird eine Demo angemeldet?“, über „Wie und wer organisiert die Demos und Aktionen?“ bis hin zum „Warum?“, nach dem Anliegen der Schüler*innen und der Meinung des Lehrpersonals zum Schulstreik.

Zwei Schülerinnen der Annie Heuser Waldorfschule stellten die Schulsysteme in Deutschland vor
Foto: A.Worst

In die Kategorie alternativer Erziehungs- und Lehrmethoden fielen auch zwei Projekte, die für die Ginkgo Fellows sehr inspirierend waren. Zum einen der Besuch im Waldkindergarten „Wühlmäuse“, den Monique Wiele gegründet hat. Sie erklärte, wie selbst Stadtkinder wie auf dem Land aufwachsen können, bei Sonne, Regen und Wind, entsprechend angezogen, nah an und in der Natur groß werden, dabei von Anfang an den Blick und das Herz für die Umwelt und deren besondere Schutzbedürftigkeit öffnen.

Mit Monique Wiele erlebte die Gruppe Natur hautnah
Foto: A. Worst

Das zweite Highlight war ein Besuch im „Helleum“, dem Kinderforscherzentrum in Berlin-Hellersdorf, eine Gründung von Prof. Hartmut Wedekind.

Prof. Dr. Hartmut Wedekind
Foto: A. Worst

Alles dort ist auf Experiment und Erfahrung ausgerichtet: Anfassen, nachdenken, ausprobieren, nochmals denken…. Dabei spielerisch physikalische Erfahrungen machen und jeden noch so komplizierten Vorgang begreifen. Beispiele: Wenn wir eine dicke Melone und eine kleine Tomate ins Wasser werfen, welche der beiden schwimmt oben? Oder: eine Cola mit Zucker und eine mit Süßstoff, welche Büchse sinkt tiefer?

Schlussdiskussion im Helleum
Foto: A. Worst

Prof. Wedekind arbeitet seit vielen Jahren eng mit China zusammen. Er plant gerade, ein „Helleum Kinderforscherzentrum“ in China aufzubauen. Die Experimente, die Kindern und Erwachsenen gleichermaßen Spaß machen, sind im kleineren Rahmen schon von einigen Ginkgo Fellows nach China übertragen worden, wie die Bilder von den experimentierfreudigen chinesischen Kindern eindrucksvoll belegen. Die Fotos erreichten Shan.Shui aus China nur wenige Wochen nach Ende der Reise.

Was schwimmt, was geht unter? Und warum?
Foto: Du Keming
Welche Cola ist mit, welche ohne Zucker?
Foto: Du Keming

Nach fünf intensiven Tagen in Berlin machten sich die Ginkgo Fellows per Bahn auf nach Weimar – für 24 Stunden deutsche Kultur. Das neu eröffnete Bauhaus-Museum führte wieder zu vielen Fragen über die deutsche Geschichte: die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen nach 1918, das Deutschland der 20er Jahre, weltoffen, innovativ und kulturell prosperierend, aber auch von wirtschaftlichen Problemen geplagt. Die Hinwendung zum Nationalsozialismus, die Machtübernahme der Nazis und dann die Zerstörung all dessen, was in der Zeit der Weimarer Republik an Neuerungen geschaffen wurde durch die „Gleichschaltung“ und die Vertreibung von Künstlern, Intellektuellen und politisch mißliebigen Personen. Schließlich die Terrorherrschaft europaweit, die Ermordung von Millionen von Menschen und die Zerstörung weiter Teile Europas durch den von den Nazis entfesselten Zweiten Weltkrieg.

Natürlich durften auch Goethe und Schiller nicht fehlen: Die beiden Wohnhäuser der Dichterfürsten, ihre Grabstätten, der Park an der Ilm mit dem Gartenhaus, die Anna-Amalia-Bibliothek.

Die Ginkgo Fellows unter Deutschlands berühmtesten Ginkgobaum in Weimar
Foto: Ginkgo Fellows
Schlange stehen für eine Original Thüringer Rostbratwurst
Foto: He Xiaobo

Einen besonderen Einblick in die deutsche Alltagskultur erhielten die Ginkgo Fellows auf dem Weinfest in Weimar. Typisches Essen wie Rostbrätl oder Thüringer Rostbratwurst, Wein aus allen möglichen Lagen und Landen, und von der Bühne auf dem Frauenplan deutsche Volksmusik und Schlager….

Weiter gings nach München. Das Thema des ersten Tages dort war typisch deutsch und ließ sich in Bayern besonders gut umsetzen: Der deutsche Wald. Forstbetriebsleiter Wilhelm Seerieder übernahm die Führung durch den Forstenrieder Park.

Forstbetriebsleiter Wilhelm Seerieder
Foto: A.Worst

Er brachte die Ginkgo Fellows zunächst zu einem Wald, wie er vor über 200 Jahren ausgesehen hatte. Nach dem historischen Exkurs standen Waldwirtschaft, Wald- und Umweltschutz und die aktuellen Probleme durch den Klimawandel auf dem Programm. Letztendlich sogar die Jagd, die einmal im Jahr dort stattfindet.

Foto: A.Worst

Auf der letzten Station in München war das Programm sehr ernst, denn es widmete sich dem schlimmsten Kapitel der deutschen Geschichte: den Vernichtungslagern der Nazis. Ein Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Dachau stand auf dem Programm.

Die verbliebenen Gebäude dort vermitteln nur einen schwachen Eindruck von der damaligen Situation: überfüllte Räume, Schwerstarbeit, Krankheiten, katastrophale hygienische Zustände, Gestank, Demütigungen, Drohungen und Tod. Dank der Audioguides auf Chinesisch und der umfangreichen Ausstellung hinterließ der Besuch einen tiefen Eindruck, der sich auch in den Berichten der Ginkgo Fellows widerspiegelte.

Die Worte „Nie wieder“ hinterließen einen tiefen Eindruck
Foto: Wang Yu

Am 3. September 2019 trennten sich die Wege der Gruppe. Einige fuhren mit dem Zug zurück nach Berlin, um von dort Richtung Peking zu fliegen, andere blieben noch ein paar Tage in München und starteten von hier aus den Rückflug nach Shanghai.

Für Shan.Shui war es ein spannender Einblick in das Leben in China und die großen und kleinen Veränderungen, die dort tagtäglich passieren. Und es war die Begegnung mit großartigen Menschen, die unter teils schwierigen Bedingungen ihr Leben in den Dienst der Gemeinschaft stellen. Das haben wir gerne unterstützt!

Wir drücken allen Ginkgo Fellows die Daumen für ihre wichtige Arbeit und hoffen, dass sie aus dieser Deutschlandreise und dem Programm einen Nutzen für ihr Wirken in China ziehen konnten.